Statement zum Investoreneinstieg beim SV Werder

„‘Cause once we made a promise, we swore we’d always remember: No retreat, baby, no surrender!“


~ “No Surrender”, Bruce Springsteen




Vor wenigen Wochen jährte sich der 125-jährige Geburtstag Werders, doch leider ist seit den Meldungen der letzten Tage nicht mehr jedem Fan zum Feiern zumute. Grund dafür ist der verkündete Einstieg einer Investorengruppe, die für eine Summe von insgesamt 38 Millionen Euro 18% der Anteile am Verein erworben hat. Dabei handelt es sich wohl um einen der einschneidendsten Momente in der Vereinshistorie. Der Einstieg eines Investors war bereits seit langer Zeit abzusehen und doch wird sich das Gesicht des Vereins durch die nun endgültig getroffene Entscheidung unweigerlich und dauerhaft verändern. Zu beachten sind hierbei zwei, häufig diametral entgegengesetzte Positionen in Bezug auf die „Investoren“-Thematik: Die Sicht der kritischen Fanszene und jene des Vereins. Auf der einen Seite stellt der Anteilsverkauf dabei für viele den Höhepunkt einer sich immer schneller drehenden Kommerzialisierung des Fußballgeschäfts in Bremen dar. Die Folge ist ein schleichender Prozess der Entfremdung von den eigenen Idealen, mit denen man Woche für Woche das Team der Grün-Weißen begleitet. Auf der anderen Seite steht der Wunsch eines Fußballvereins nach sportlichem und wirtschaftlichem Erfolg im Geschäft Profifußball. Insbesondere die wirtschaftlichen Zwänge, mit denen sich Werder auf dieser Bühne konfrontiert sieht, haben einen maßgeblichen Teil zur dieser Entscheidungsfindung beigetragen. Um den beschlossenen Deal abschließend bewerten zu können, muss man sich daher einige Fragen stellen: Wo ist Werder in den vergangenen Jahren wirtschaftlich falsch abgebogen? Welche Kritikpunkte kann man an dem aktuellen Einstieg der Investorengruppe festmachen? Und kann das Ruder in Zukunft noch herumgerissen werden?


Teil 1: Der Weg in die Misere

Man kann die wirtschaftliche Schieflage nicht auf ein einziges Ereignis herunterbrechen. Unserer Auffassung nach sind dafür mehrere Faktoren verantwortlich.

Bereits 2003 wurde die Fußballsparte aus dem Verein ausgegliedert und zur GmbH und Co KG umgestaltet. In der Zeit von 2004-2010, als Werder Bremen Dauergast in der Champions League war, war man bemüht, einen Kader zusammenzustellen, der die Teilnahme am internationalen Wettbewerb gewährleisten sollte. Um diese Kaderkosten zu decken, hat man fest mit den Einnahmen aus der Champions League geplant und ist damit in der jüngeren Vereinshistorie erstmals von der einnahmenorientierten Ausgabepolitik abgerückt.

Auch darf der Umbau des Weserstadions von 2008-2012 nicht unerwähnt bleiben. Nicht nur, dass der Umbau rund 16 Millionen Euro teurer war als ursprünglich geplant. Auch wurde die Kapazität des Stadions nicht nennenswert erhöht – stattdessen wurde auf die Modernisierung der Logen gesetzt, die auf Abstand betrachtet nicht den erwünschten Ertrag eingebracht hat. Hinzu kommt die ungeschickte Platzierung des Gästeblocks, der, wie wir heute wissen, aufgrund von Sicherheitsbedenken in den Unterrang der Westkurve verlegt werden muss. Ein vermeidbarer Umbau, der weitere Kosten mit sich bringt.

Um dem Verkauf des Stadionnamens vorzubeugen, hat die aktive Fanszene im Frühjahr 2019 der Geschäftsführung die Idee eines 18. Heimspiels präsentiert. Hier ging es darum, Werder Fans die Möglichkeit zu geben, Tickets für ein fiktives Heimspiel zu erwerben, um den Namen des Weserstadions erhalten zu können. Diese Idee wurde abgelehnt, weil man sich nicht genug Einnahmen davon versprochen hat. So wurden die Namensrechte im Sommer 2019 an ein Immobilienunternehmen, das zum aktuellen Zeitpunkt sogar zahlungsunfähig ist, verkauft. Im Zuge dieses Geschäftes wurde abermals das Schreckgespenst der Wettbewerbsfähigkeit bemüht. Leider konnten die daraus resultierenden Einnahmen den Klassenerhalt nicht garantieren. Die Saison 19/20 endete in der Relegation, die Saison 20/21 mit dem Abstieg.

Unter dem Strich bleibt festzuhalten: jedes Mal, wenn man den oft bemühten Werder-Weg verlassen hat, musste man dafür die Rechnung tragen.


Teil 2: Status Quo – Investoren bei Werder

Um die Fehler der Vergangenheit auszubessern, hat Werder nun einem Investoreneinstieg im Verein zugestimmt. Doch wie sieht dieser im Detail aus?

Der Deal sieht im Großen und Ganzen vor, dass 18% der Vereinsanteile für insgesamt 38 Millionen Euro an eine Investorengruppe veräußert werden. Die Investorengruppe, welche als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (kurz GbR) fungiert, bestehend dabei aus 8 Mitgliedern. Nach aktuellem Kenntnisstand sind Marco Fuchs, Kurt Zech, Klaus Meier, Martin Karren, Arnd Brüning, Harm Olmeyer und Frank Baumann in der GbR vertreten. Die GbR selbst wird durch einen Sprecher vertreten. Diese Funktion wird vermutlich Harm Olmeyer bekleiden. Die übrigen Mitglieder werden öffentlich nicht auftreten. Darüber hinaus haben sich die Mitglieder innerhalb der Investorengruppe strikte Auflagen erteilt. Wie genau diese aussehen und welche Abmachungen verankert wurden, ist nicht bekannt. Im Gegenzug für die bereitgestellten 38 Millionen Euro erhält die Investorengruppe – neben den 18% Vereinsanteilen – zwei Sitze im Aufsichtsrat von Werder.

Sollte die GbR in Zukunft ihre Vereinsanteile weiterverkaufen wollen, hat Werder ein Rückkaufsrecht. Die veräußerten Anteile können dann zu dem marktüblichen und wirtschaftlich adäquaten Preis zurückgekauft werden. Hierbei wurde dem Verein ebenfalls ein Rückkauf auf Ratenzahlung vertraglich zugesichert.


Teil 3: Kritikpunkte am Investoreneinstieg

Der Einstieg scheint Werder somit einen möglichen Ausweg aus der finanziellen Krise der letzten Jahre zu bieten. Also eigentlich ein Grund zu feiern, oder? Leider nicht so ganz, denn auch wenn der beschlossene Deal dringend benötigtes Geld in Werders Kassen spült, scheint er in einigen Punkten doch eher einer der faulen Art zu sein.

Zuallererst fällt die Doppelrolle von Frank Baumann bei dem Anteilsverkauf auf, welcher – auch wenn er sich erst spät der Investorengruppe anschloss – sowohl als Anteilsverkäufer als auch Käufer in das Geschäft eingebunden war. Eine solche Doppelfunktion hätte bereits während der Verhandlungsgespräche klar kommuniziert und kritisch hinterfragt werden müssen.

Darüber hinaus muss auch die Neustrukturierung des Aufsichtsrats kritisch beleuchtet werden. Die Investorengruppe erhält in Zuge dessen zukünftig zwei Sitze im Aufsichtsrat von Werder. Dies ist insofern nachvollziehbar, da die Geldgeber kontrollieren wollen, was mit ihren Investitionen geschieht. Unüblich ist jedoch die Vergabe von gleich zwei Plätzen in diesem Gremium. Im Bundesligavergleich wurde bei ähnlichen Vertragsabschlüssen in der Regel nur ein Platz an einen zukünftigen Investor vergeben. Dieser fade Beigeschmack wird noch stärker, da in Form von Harm Ohlmeyer bereits eine Person aus der Investorengruppe im aktuellen Aufsichtsrat Werders sitzt. Zukünftig werden somit de facto drei der zukünftig neun Aufsichtsratsmitglieder aus den Reihen der GbR gestellt. Dass sich die Mitglieder der GbR ihre Anteile auch gegenseitig abkaufen können, wodurch die Gefahr einer zusätzlichen Machtbündelung bei Einzelpersonen besteht, verkommt dabei fast zur Nebensache. Diese Konzentration von Macht und Mitbestimmungsrecht kann folglich den Ausschlag geben, dass Beschlüsse im operativen Tagesgeschäft im Sinne der GbR gefällt werden.

Darüber hinaus ist auch die Zweckgebundenheit der Finanzspritze in Höhe von 38 Millionen Euro kritisch zu beäugen. Laut übereinstimmenden Medienberichten soll das Geld in Investitionen in die Bundesligamannschaft, sowie den dringend benötigten Bau eines neuen Nachwuchsleistungszentrums fließen. Inwiefern solche Ausgaben – insbesondere Investitionen in die Bundesligamannschaft – mit einem hohen Risiko verbunden sind, konnte man auch anhand der Fehleinkäufe in den letzten Jahren beobachten. Eine Tilgung des Schuldenbergs, den Werder mit sich herumschleppt, ist indes nicht vorgesehen. Unserer Meinung nach würde der hanseatische und bodenständige Weg, den Werder seit Jahrzehnten predigt, vorsehen, zuerst eben jene Schulden abzuzahlen, bevor neue Investitionen getätigt werden.

Genau hieran schließt sich der wohl größte und wichtigste aller Kritikpunkte am aktuell beschlossenen Investoreneinstieg an: Was passiert zukünftig, wenn die getätigten Investitionen im Sande verlaufen? Es ist fraglich, dass Werder in den kommenden Jahrzehnten jemals in der Lage sein wird, von der Vertragsklausel Gebrauch zu machen, um die nun veräußerten Anteile zurückzukaufen. Eine Investorengruppe, in welcher Form auch immer, wird also fortan zum Bild des Vereins gehören. Schlimmer noch: die Büchse der Pandora wurde mit den Beschlüssen der vergangenen Tage geöffnet. Es besteht die Gefahr, dass zukünftig in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wieder auf Geld von Privatpersonen zurückgegriffen wird. Dass diese Personen dann nicht aus dem Dunstkreis der vielzitierten Werder-Familie kommen, ist ebenfalls denkbar und würde zu einer weiteren Entfremdung von den Vereinsideale führen.


Teil 4: Was also tun?

Spätestens jetzt sollte jedem Werder-Fan bewusst sein, dass es Zeit ist zu handeln. Eigentlich hätte die kritische Auseinandersetzung mit der Vereinspolitik Werders bereits vor Monaten, wenn nicht gar Jahren stattfinden müssen. Allerdings kann das Ruder immer noch herumgerissen werden. Grundlegend muss hierfür die Mitgliedschaft jedes Einzelnen im Verein sein. Die jährliche Mitgliederversammlung bleibt der zentrale Ort, um aktiv auf das Vereinsleben Einfluss nehmen zu können. Dieses Forum muss von allen Werder-Fans genutzt werden, um sich eine Stimme im Entscheidungsfindungsprozess des Vereins zu verschaffen. Um dies allen Werder-Fans zu ermöglichen, muss der unverhältnismäßig hohe Mitgliedsbeitrag beim SVW gesenkt werden. Wer stets die Werder-Familie und die eigene soziale Verantwortung predigt, sollte auch dementsprechend handeln und diese Familie allen interessierten Personen öffnen! Außerdem müssen fähige und kompetente Personen aus den eigenen Reihen in die Ämter des Vereins gebracht werden, um langfristige Veränderungen herbeizuführen. Dass all diese Vorstellungen keine Luftschlösser sind, haben in den letzten Jahren zum Beispiel die Fanszenen vom VfB Stuttgart oder Hertha Berlin eindrucksvoll bewiesen.

Und wie soll man mit der Investorengruppe umgehen?
Hier ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Doch nun liegt es in unserer Hand, als Kontrollinstanz tätig zu werden, um Werder und die GbR in den kommenden Jahren an ihren Worten und Versprechungen zu messen. Wie sich die Situation entwickeln wird, steht aktuell noch in den Sternen. Es muss aber jedem Werder-Fan bewusst sein, dass ein Verstummen der kritischen Stimmen um unseren Verein herum, weiteren unliebsamen Geschäften Tür und Tor öffnen wird.


Resümee

Ob mit dem Investoreneinstieg aktuell eine „rote Linie“ überschritten wurde, sodass man den Auswüchsen des auf kapitalistischen Interessen fußenden Profifußballgeschäfts den Rücken zukehrt, muss jeder individuell entscheiden. Hier kann es kein Patentrezept geben. Wenn man ehrlich ist, wird diese „rote Linie“ schon seit Jahren immer weiter ins Negative verschoben. Und trotzdem hat man diese Entwicklungen – wenn auch zähneknirschend – mitgemacht. Vermutlich hätten sich wohl auch die wenigsten ausmalen können, dass es einmal so schlecht um Werder stehen wird, dass der Verein kurz vor dem finanziellen Kollaps stehen könnte. Ob mit der aktuellen Entwicklung um den Investoreneinstieg das Ende einer finanziellen Talfahrt und die Genesung des Vereins einläutet wird, oder ob dies nur der Startschuss für weitere Anteilsverkäufe in naher Zukunft sein wird, kann nur die Zeit zeigen.

Es liegt nun allerdings mehr denn je in der Hand aller Werder-Fans, eine kritische Öffentlichkeit zu bilden und aktiv auf die Vereinspolitik Einfluss zu nehmen!


L‘ Intesa Verde im Februar 2024